Ausstellung 2

sacherundsacher pdf Auferstehung aus dem Ohr

Der Künstler verwickelt uns mit dem Ausstellungstitel „Auferstehung aus dem Ohr“ in ein Bedeutungsspiel. Verwirrung ist Programm. Soviel lässt sich sagen: Auf dem Banner zur Ausstellung ist ein Ausschnitt eines Selbstporträts Vincent van Goghs identifizierbar. Das Ohr Van Goghs – wir erinnern uns, dass es in einem Akt der Selbstverstümmelung verloren gegangen ist – erscheint hier in überdimensionaler Gestalt.
Die Frage, die sich stellt, ist: Wohin gelangen wir, wenn wir uns auf das Spiel des Künstlers einlassen? Erleben wir die phantastische Auferstehung des Vincent van Gogh in seinem Klon, der aus dem wiedergefundenen Ohr generiert wurde? Oder liegt die Vermutung nahe, dass es hier um die Rehabilitierung der Malerei geht, für die der Künstler Van Gogh Pate steht? Denn damit rückt die zeitgenössische Behauptung der Unmöglichkeit des Tafelbildes in den Blick, mit der sich jeder Künstler, der heute Malerei betreibt, auseinandersetzen muss.
Wenn dem so ist, wenn es um die Wiedergewinnung der Malerei für die Kunst der Gegenwart geht, um die Neuentdeckung des Bildes, um das sich die Kunst in der dekonstruktiven Stimmung der Epoche in einem verzweifelten Akt der Selbstverstümmelung gebracht hat, dann haben wir hier einen Schlüssel für das Anliegen von sacherundsacher. Dann erschließt sich durch den Titel der Ausstellung die Behauptung, dass Malerei gegenwärtig sehr wohl möglich ist.
Bemerken wir noch das Spiel mit der Autorenschaft des Künstlers Dieter Härtel, der in seiner konzeptionellen Werkstatt eine Figur schafft, die in der Verdoppelung des Sacher seinen siamesischen Zwilling sacherundsacher erfindet. Durch den Kunstgriff der Externalisierung seines alter egos wird die Urheberschaft seiner Werke definiert.
Dieter Härtel lässt sacherundsacher sozusagen für sich arbeiten. Mittels dieses methodischen Tricks spricht er sich selbst symbolisch von dem Produkt los und schiebt es –  wie der Kuckuck seine Eier – einem immer neuem sacherundsacher unter.

 

Den Gewinn, den der Künstler hat, ist derselbe wie der des Kuckucks: Während jener wieder unbeschwert Eier legen kann, gewinnt der Künstler die Freiheit zu neuen Ideen und Aktionen. Derweil sind es sacherundsacher, die gleichsam ahnungslos von uns für die Elternschaft der künstlerischen Arbeiten zur Rechenschaft gezogen werden. Wir werden hier Zeugen eines Streites zwischen dem Künstler und seinem selbst geschaffenen alter ego. Ein Streit, den der Künstler gar nicht zu gewinnen trachtet, da der Ertrag seines Verzichtes die Unbefangenheit zu neuen Arbeiten ist. Die gewonnene Freiheit spiegelt sich in der Breite der künstlerischen Produktion wider. Angefangen von Malerei und Zeichnung über Fotographie und Plastik bis hin zu Installationen und Videoarbeiten reicht das Spektrum des Künstlers. Selbst ein umfangreiches Romanfragment findet sich darunter.

Die Arbeiten von sacherundsacher stellen eine Ikonographie des Menschlichen vor. Das Gesicht ist nicht Ausgangspunkt für Idealisierung, wie wir sie aus der traditionellen Porträtmalerei kennen. In dieser Kunst gewinnt das Gesicht eine gültige Gestalt, indem es die Spuren seines individuellen Werdens enthüllt. Im unverstellten Gesicht, in seiner Einfachheit entfaltet sich die Wahrheit seiner Existenz. Die Brüche, das Scheitern, das Dunkle oder um es mit und zugleich gegen Nietzsche zu sagen: das Menschlich-Allzumenschliche ist hier nicht etwas, das es zu überwinden und hinter sich zu lassen gilt.
Das Abseitige und Abgründige, das Unheimliche und Verborgene sind im Gegenteil das Material, das unter dem Druck der Existenz in der Welt in eine je eigene, unverwechselbare Schönheit transformiert wird – ähnlich wie sich Kohlenstoff unter dem Druck vieler Atmosphären zum wertvollen Diamanten verwandelt.

Hartmut Talke